Wie war das noch mit dem Ziel? – Ein Plädoyer für Umwege
Aktualisiert: 17. Feb.
Du brauchst ein Ziel! Wo willst du hin? Was willst du werden, was tun? Sei konkret!
Wem kommen diese Sätze bekannt vor? Und wem gehen sie noch auf den Keks? Dann geht es euch so wie mir lange Zeit. Ständig wird von einem verlangt, ein konkretes Ziel zu benennen. „Was willst du mit deinem Studium machen?“ ist eine beliebte Frage. Und wenn ich antwortete: „Weiß ich noch nicht, mal sehen“ erntete ich fragende, manchmal belächelnde Blicke …
Es scheint schwer verständlich zu sein, einfach zu machen und zu schauen, wo es einen hinführt.
Dabei ist es nicht so, als hätte ich nicht darüber nachgedacht, im Gegenteil. Ich beschäftige mich viel mit der Frage, wohin ich eigentlich will. Ich denke, das tut jeder irgendwie.
Weil es natürlich die Angst davor gibt, sich komplett zu verirren. Andererseits: na und? Dann verirrt man sich eben. Komme ich in eine neue Stadt oder Region, laufe ich meistens einfach drauf los und schaue, wohin mich der Weg führt. Jedes Mal, wirklich JEDES MAL verlaufe ich mich! Aber beim nächsten Mal weiß ich dafür „Hey, hier war ich schon Mal, ich müsste jetzt ungefähr da und da sein“. Und wie häufig habe ich schon tolle Cafés oder geheimnisvolle, verlassene Orte entdeckt, die ich mit Stadtplan (den ich eh nicht lesen kann) niemals gefunden hätte. Verirren kann also auch sehr schön sein.
Und dennoch wird einem Angst davor gemacht. Die Eltern, die natürlich und ganz verständlicher Weise möchten, dass das Kind seinen Weg findet und etwas Ordentliches aus seinem Leben macht. Die Freunde, die fest im Arbeitsleben oder Studium stehen und kopfschüttelnd oder lachend sagen: „Du und deine Ideen, was soll das mal werden?“
Aber ich möchte euch etwas verraten: Ich vertraue mir selbst. Ich weiß, dass ich viele Umwege gehe, dass ich häufiger abbiege, als es vielleicht nötig erscheint. Aber es fühlt sich richtig an. Ich habe gelernt (und lerne immer noch), auf meine innere Stimme zu hören. Sie ist dieses diffuse Gefühl, dass einem signalisiert, wenn etwas nicht stimmt oder wenn es sich ganz außerordentlich gut anfühlt. Der Teil in uns, den wir so gerne stumm schalten und zurückdrängen. Denn der inneren Stimme zu lauschen bedeutet, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, eingeschlagene Wege neu zu überdenken, seine Situation in Frage zu stellen. Vielleicht etwas ändern zu müssen; und Veränderung kann erstmal verdammt unangenehm sein.
In uns drinnen steckt eine tiefe Ehrlichkeit, die sehr genau weiß, was wir brauchen. Was wir wollen – und was nicht. Mir wird immer wieder bewusst, wie schwer es ist, diese Ehrlichkeit zuzulassen. Weil wir es gewohnt sind, uns selbst zu belügen. Es ist oftmals so viel einfacher, so viel bequemer. Und irgendwie auch ein bisschen schön, weil es die unangenehmen Gefühle verdrängt, die sich ab und zu durch die kleinen Risse stehlen wollen und die wir getrost zukleistern mit einem Nein, nein, ist schon gut so.
„Es führt kein Weg zum Glück, Glück ist der Weg.“ Dieser Satz hat mich sehr berührt. Um was geht es im Leben? Leben ist Bewegung, ist ständiger Wandel, ist hinfallen und aufstehen, ist lachen und weinen und Gefühlsexplosionen. Leben ist Fehler machen und daraus lernen, ist sich mal gehen lassen und wieder zusammenreißen. Leben ist so viel und so komplex und so schön und manchmal auch so scheiße. Glück ist der Weg: Ist es nicht schön, einfach zu laufen? Wie beim Wandern, immer weiter, das Rechts und Links genießen, das Gefühl von Bewegung, von weiterkommen. Denn es geht immer weiter, auch auf sogenannten Umwegen.
Um-Weg. Um den Weg zu gehen. Um des Weges Willen. Um den (direkten) Weg herum?
Umwege bieten uns die Möglichkeit, uns umzuschauen und Dinge zu entdecken, die uns sonst verborgen geblieben wären. Woher sollte man auch wissen, welcher der direkte Weg wäre und vor allem, ob es ihn überhaupt gibt? Wenn, dann sieht man ihn erst im Nachhinein.
Ein recht schlauer Goethe hat das mal so formuliert: „alles, was uns begegnet, lässt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei“ (Wilhelm Meisters Lehrjahre). Es gibt eigentlich keine Fehler, wie wir sie gerne benennen – nur Erfahrung. Ist das nicht beruhigend?
Habt den Mut, ehrlich zu euch zu sein, eurer inneren Stimme zuzuhören und steht zu euren Wünschen. Wenn sich etwas falsch anfühlt, ändert es, entgegen den Sprüchen und Personen, die euch ein schlechtes Gewissen machen. Fallt hin und steht wieder auf, wie ihr es als Kinder ständig getan habt und das sogar noch mit einem Lachen, weil ihr gerade die ersten Schritte geschafft habt. Gehen lernen funktioniert nicht ohne fallen, ohne die ersten unsicheren Schritte. Wer nicht fällt lernt auch das Aufstehen nicht. Am Ende kommt es nur darauf an, sich selbst gut zu fühlen mit dem, was man macht. Also dann, wie wäre es mit ein bisschen mehr Spaß am Hinfallen?
(dieser Text entstand 2017 auf dem Jakobsweg)
